Schnurres eskaliert, Spence animiert, Statler optimiert, Waldorf pessimiert und Hubert historiert. Eine Geschichte über solche und solche Fans.
Ungefähr 45.000 Fans pilgern Spiel für Spiel nach Müngersdorf. Die meisten davon haben eins gemeinsam. Sie sind Fans des einzig wahren und tollsten Vereins der Welt. Abgesehen davon gibt es die unterschiedlichsten Typen und damit meine ich nicht die vereinfachte Unterscheidung in Ultras und sogenannte „normale“ Fans. Aber starten wir gleich mitten im Geschehen.
„Arschloch…ey Schiri…der hat sich doch…Schwalbe…Arschloch….!“
Grund für die temporäre Eskalation des Schnurrbartträgers im gesetzteren Alter ist eine vollkommen unwichtige Abwehraktion von Miso Brecko an der Eckfahne. Übrigens auf der gegenüberliegenden Seite und damit gut 100 Meter Luftlinie entfernt. Außer mit einem bionischen Auge ist es also nahezu unmöglich zu erkennen, ob die Aktion eine souveräne Abwehrleistung oder ein Foul war. Schnurres ist das ohnehin völlig gleichgültig. Kevin McKenna könnte direkt vor unserer Nase einen gegnerischen Spieler mit einem Roundhousekick niederstrecken, der sogar Hans Sarpei aus den Stiefeln hauen könnte. Und Schnurres würde schreien:
„Arschloch…ey Schiri…der hat sich doch…Schwalbe…Arschloch….!“
Und er würde seine Faust wieder wütend in den Himmel strecken, mit dem Finger auf die niemals ein Kölner Trikot tragenden Schuldigen zeigen und einem Herzinfarkt wieder einen kleinen Schritt näher kommen. Denn Schnurres eskaliert als Teilzeitcholeriker einfach gerne aber immer nur kurz. Ob aus Angst vor dem schon erwähnten Herzinfarkt oder aus mangelnder Kondition ist mir nicht klar. Aber kaum ist die strittige Situation vorbei sitzt er schon wieder ruhig auf seinem Platz.
Genau in diesem Moment, wenn Schnurres und seine Cholerikerkollegen sich erschöpft auf ihre Sitze fallen lassen schlägt die Stunde von Spence. Der heißt eigentlich anders, aber wer jemals King of Queens gesehen hat wird diese Personenbeschreibung verstehen. Spence wird genau in diesem Moment aufspringen, sich zu den gerade wieder zur Ruhe gekommenen Fans umdrehen und diese zu einem optimistischen Schlachtgesang motivieren. Dafür wedelt er mit seinen kurzen Ärmchen, klatscht und tanzt in einem Rhythmus den man diplomatisch als individuell bezeichnen könnte.
Mit seinen Animationsversuchen hat er ungefähr so viel Erfolg, als würde er eine Horde Nonnen auffordern, sich aus- bzw. Micaela Schäfer bitten, sich anzuziehen. Doch Spence stört sich offensichtlich nicht daran, dass er weniger der Animateur als mehr die Animation in ruhigen Spielmomenten ist. Eben jene Momente, in denen bei vielen Fans Analyse angesagt ist.
Nehmen wir die vorhin schon beschriebene Situation. Kevin McKenna, den ich übrigens nur deswegen ausgewählt habe, weil eine kanadische Eiche der einzige natürliche ebenbürtige Gegner von Hans Sarpei ist. Der wiederum, er möge mir verzeihen und mich mit seinem Zorn verschonen, in dieser ausgedachten Situation am Boden liegt. Was den Schiedsrichter völlig unberechtigter Weise (man muss nur Schnurres fragen) zu einer roten Karte gegen Kevin McKenna verleiten würde.
Eben jene Entscheidung auf dem Spielfeld ist dann der Ausgangspunkt für zwei verschiedene Kausalketten, die zwar am gleichen Punkt anfangen, aber, wie man an den beiden Typen sehen kann, die mich an Statler und Waldorf aus der Muppet-Show erinnern, zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen.
Fangen wir mit Statler und der optimistischen Kausalkette an:
„Der Macka ist ja eh schon alt… und wir gewinnen locker auch mit zehn Spielern… dann können endlich mal die jungen Talente spielen… da gibt es ja mindestens drei, die das Zeug zum Nationalspieler wenn nicht sogar zum Balon d´Or haben… einen von denen verkaufen wir dann nach dem Aufstieg für 80 Millionen an Real Madrid… holen mit dem Geld den Poldi zurück… dann greifen wir oben an… Champions League“
Das ist wichtig. Egal wie sie anfangen, egal über welche Zwischenschritte sie verlaufen. Optimistische Kausalketten enden immer in der Champions League.
Ganz anders bei Waldorf, der eindeutig zur pessimistischen Fraktion gehört und dessen Kausalketten daher ungefähr in dieser Art aufgebaut sind.
„Ausgerechnet McKenna… wer soll die Abwehr denn jetzt zusammenhalten… das Spiel können wir vergessen… den Aufstieg sowieso… und am Ende der Saison müssen wir dann alle guten Spieler verkaufen… aber für die bekommen wir ja ohnehin nichts… Pleite“
Was für die optimistische Kausalkette die Champions League ist, ist für die pessimistische grundsätzlich die Niederlage. Die Wahrheit befindet sich natürlich irgendwo in der Mitte. Also genau dort, wo sich Fans des 1. FC Köln traditionell sehr ungerne aufhalten.
Eines aber haben Optimisten und Pessimisten gemeinsam. Ihre Gedanken enden in der Zukunft, die in Huberts (Name von mir persönlich erfunden, weil der Mann einfach so aussieht), nicht einmal ansatzweise vorkommt. Huberts Ideologie basiert auf zwei grundlegenden Thesen, die er selbst als Fakten bezeichnen würde:
- Früher war alles besser!
- Heute ist alles scheiße!
Seine Ausführungen beginnen gerne mit so Sätzen wie „Das hätte es unter Weisweiler nicht gegeben“ oder „Overath war wenigstens noch ein echter Anführer auf dem Platz“.
Große Namen, große Zeiten. Hubert hat sie ohne jeden Zweifel erlebt. Tatsächlich sieht er so aus, als wäre er in seiner Jugend Jopi Heesters Babysitter gewesen. Die Frage ist nur, wann er die Gegenwart verlassen hat. Vermutlich hat er schon 1983 beim Pokalsieg geschimpft, dass 1978 beim Double alles viel besser war. 1964 und unter Franz Kremer natürlich erst recht. Aber selbst da hat der Hubert wahrscheinlich schon gemeckert, dass spätestens seit der Vereinigung des Kölner BC 01 und der SpVgg Sülz 07 die guten alten Zeiten endgültig vorbei waren.
Seitdem ist viel Zeit vergangen und vollkommen egal, wie viele Jahre noch ins Land ziehen, in welcher Liga, oder ob wir gegen den Abstieg für den Aufstieg oder sogar um ernsthafte Titel spielen. Es wird immer so Typen wie Schnurres, Statler, Waldorf, Spence und Hubert geben. Nicht zu vergessen all jene, die ich nicht erwähnt habe.
Und genau das macht einen Stadionbesuch aus. Da könnte Sky nicht einmal mithalten, wenn sie mir das Spiel in dreidimensionalen Hologrammen lebensecht in meinem Wohnzimmer präsentieren würden.