Der erste Sieg im Europapokal nach 25 Jahren für den 1. FC Köln war eine schwere Geburt. Am Ende war er aber ein umso tolleres Gefühl. Wir erinnern uns an diesen Abend mit einem Text von Axel Goldmann aus der kölschlive-Ausgabe von Dezember 2017.
Feuchtkalt ist es. Ungemütlich. Herbstwetter. Gerade ist der Pausenpfiff ertönt und ca. 100 Gästefans sind im sehr stillen Müngersdorf deutlich zu hören.
„BATE, BATE, BATE“
schallt es einigermaßen unkreativ aber eben klar wahrnehmbar die 120 Meter von der Gästekurve in unsere Richtung. Wir schauen uns an, begraben die Gesichter in Händen, Schals, Pullis und Jacken und verstehen es einfach nicht. Das Spiel an sich, meine ich. Wir ringen um Worte und schütteln uns, rauchen vielleicht eine Frust-Zigarette oder diskutieren wild gestikulierend die vergangenen 20 Minuten unseres Lebens.
Natürlich ist es nicht das Leben selbst, welches hier auf dem Prüfstand steht, aber in diesem Moment, in dieser Viertelstunde Pause, kommt es mir so vor. 25 Jahre haben wir auf diese Saison gewartet. Wir haben gebetet und gezittert, haben gelitten und geflucht, sind verzweifelt am Fußballgott und an uns selbst. Wir haben die Welt verflucht und dann, als es endlich passiert, als wir uns wieder fühlen dürfen, als würden wir dazu gehören, als würde der 1. FC Köln in sein natürliches Habitat, welches selbstverständlich der europäische Spitzen-Vereinsfußball ist, zurückkehren, wird uns auch dies genommen. Drei Spiele, drei Niederlagen in Europa. Ein Tor. Fürchterliche Spiele gegen Belgrad und in Borisov, eine saft- und kraftlose europäische Vorstellung. Theresa May wäre stolz auf uns. Dazu abgeschlagen Letzter in der Liga, kein Sieg, keine Hoffnung auf Besserung. All dies kumuliert in dieser Halbzeitpause zu einer Resignation, die ich selten so erlebt habe. Wir finden auch keine richtigen Worte mehr. Begräbnis.
UND DANN MACHT ES KLICK
Nachdem in der ersten Halbzeit das Fußballspielen nach der Führung komplett eingestellt wurde, nachdem man sich hat einlullen lassen, von einer spielerisch bestenfalls Zweitligatauglichen Mannschaft, man dem Gegner physisch und psychisch für 20 Minuten völlig unterlegen war, gab es wohl eine Ansprache von Peter Stöger.
So kann und darf man sich nicht präsentieren, das haben wir Fans nicht verdient, das hat der Verein nicht verdient und das haben auch die Spieler, die letztes Jahr den fünften Platz irgendwie errungen haben, nicht verdient. Es geht hier nicht um Leben oder Tod, es geht wahrscheinlich noch nicht einmal um ein Weiterkommen, sondern es geht schlicht und ergreifend um die Ehre. Das mag sich wieder mal pathetisch überhöht lesen, das mag auch blöd formuliert sein, aber mir fällt kein anderes Wort ein.
So geht es nicht weiter, so kann es nicht weiter gehen. Es muss etwas passieren. Es geht darum ein Zeichen zu setzen, den Menschen zu zeigen, dass doch nicht alles egal ist. Ein weiterer Aufschub ist nicht möglich.
HEUTE. SOFORT. IN DIESEM STADION, IN DIESEM SPIEL.
Für Christian Clemens wird Yuya Osako eingewechselt. Come on EFFZEH! Noch einmal bäumt sich die Südkurve auf, noch einmal erhebt sich das Stadion. Wir sind noch da. Macht was! Zeigt uns, dass es euch auch nicht egal ist, was man morgen über euch schreiben wird. Los jetzt. Was dann folgt ist eine zweite Halbzeit zum Verlieben. Vier Tore, wunderschöne Dinger.
KATHARSIS
Es interessiert mich nicht, dass Borisov natürlich keine gute Mannschaft hat. Es ist mir egal, dass es eigentlich ein Pflichtsieg war. Es war ein Sieg im Europapokal. Es war genau das, was wir gebraucht haben. Hier und jetzt. Nicht morgen oder am Sonntag. Es brauchten 45.000 Zuschauer diesen Sieg, dieses Ergebnis. Wir brauchten die Tore, wir brauchten die Erleichterung. Wir brauchten das Lachen nach Schlusspfiff. Alles andere ist bedeutungslos.
Ich bin mir sicher, dass die Spieler das ähnlich sehen. Ich freue mich so sehr für Yuya Osako, der eine knifflige Hinrunde spielt, dass er getroffen hat. Doppelt sogar. Ich freue mich vielleicht sogar noch ein bisschen mehr für Sehrou Guirassy, dessen Freistoß uns in Ekstase versetzte. Auch für Simon Zoller, der sich durchsetzen konnte und schön abschloss. Ich freue mich für Peter Stöger und für den Verein.
Am meisten aber freue ich mich für uns, für die Fans. Wir haben diesen Sieg verdient. Wir haben diese Halbzeit verdient. Nach 25 Jahren dürfen wir wieder einen Sieg in einem europäischen Wettbewerb feiern. Wir müssen uns endlich mal wieder nicht die Papiertüte über den Kopf stülpen, wenn wir am nächsten Morgen ins Büro kommen. Wir müssen einmal nicht an vergebene Chancen denken und an hätte, wenn und aber.
Es ist endlich unsere Nacht. Nach zweieinhalb Jahrzehnten. Lasst den Rest der Welt halt lachen über uns. Es stört mich nicht. Niemand kann uns das nehmen.