News vom 20.04.2016

ULTRAS IST FÜR MICH KEIN BÖSES WORT UND AUCH KEINE NEGATIV-BEZEICHNUNG...

fans1991 (Fan-Projekt 1. FC Köln 1991 e.V.) traf den Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Mathies zu einem exklusiven Interview, bei dem er Fragen zu den Themen Fankultur, Polizeiarbeit im Fußball und Gästekontingentreduzierungen beantwortete:

Der Polizeipräsident betritt den Konferenzraum mit zwei kleinen Geißböcken in der Hand. Die Front wäre also geklärt. Er wirkt angesichts seines stressigen Tagesablaufs erstaunlich entspannt. 

Herr Mathies, vielen Dank, dass sie sich für das Interview Zeit genommen haben. Sie sind nach den Vorfällen der Silvesternacht auf ihren Posten gekommen. Aus unserer Sicht steht natürlich Fußball im Mittelpunkt. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber und wieviel Anteil ihrer Arbeit hat der Fußball?

Ich habe jetzt schon seit vielen Jahren mit dem Bereich Fußball zu tun. Um präzise zu sein, seit dem Jahr 1991. Damals vorrangig in der Position im Innenministerium. Und dies beginnend mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien. Ich war deutscher Verbindungsbeamter bei der Fußball-Europameisterschaft 1992 in Schweden und habe danach eine Vielzahl von internationalen Einsätzen begleitet. Ich bin verantwortlich gewesen für die polizeilichen Sicherheitsmaßnahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland und hatte dabei die Gesamtkonzeption zu verantworten. In diesem Zuge war ich bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal, bei der Weltmeisterschaft 2010, sowie dann 2014 in Brasilien zur Beratung tätig, das heißt, ein Großteil meines beruflichen Lebens ist geprägt von der Arbeit mit Fußball, dabei insbesondere mit der Frage, wie man die Sicherheit bei Großsportveranstaltungen im Fußball verbessern kann.

Aktuell haben wir hier zwei Erstligamannschaften in der Region und der FC ist dabei prägend für die Stadt Köln und prägt mich seitdem ich in Köln lebe.

 

Gibt es denn Einheiten bzw. Abteilungen bei der Polizei, die sich nur mit dem Thema Fußball beschäftigen?

Wir haben die Polizeiinspektion 3 in Ehrenfeld, die die gesamte Einsatzplanung für Spiele des 1. FC Köln übernimmt, sowie die Polizeiinspektion 7 in Leverkusen. Szenekundige Beamte und auch die Dienst-, sowie die Führungsstellen beschäftigen sich sehr intensiv mit der Vorplanung der einzelnen Begegnungen. Die szenekundigen Beamten gehen regelmäßig in Einsätze, wenn der FC auswärts oder Leverkusen spielt. Dabei gibt es einen regen Austausch zwischen den einzelnen Behörden und die Arbeit mit den Fanprojekten, sowie Fanbeauftragen ist hierbei sehr intensiv. Für mich ist dabei wichtig zu sehen, wie der ÖASS (Örtlicher Ausschuss für Sport und Sicherheit) sich in der Arbeit beteiligt und sich die Teilnehmer austauschen.

 

Sie hatten die szenekundigen Beamten ja schon erwähnt. Kennen Sie sich selber sich in der Kölner Fanszene aus und auch die unterschiedlichen Gruppierungen, sowie deren Interessen?

Bisher habe ich dies vorrangig als Besucher des Stadions erlebt, wie zum Beispiel die Südtribüne mit ihren Choreographien. Ich bin häufig im Oberrang der Nordtribüne gewesen und habe gesehen, dass die entsprechenden Gruppierungen, die sich dort befinden, sehr eng mit dem FC verbunden sind. Darüber hinaus weiß ich, dass es sehr intensive, inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Auftreten der Wilden Horde gegeben hat bzw. Personen, die der Wilden Horde zugeordnet werden. Ob dies wirklich den Tatsachen entspricht, kann ich persönlich nicht einschätzten.
Dass es dabei einige unschöne Szene gegeben hat, wie zum Beispiel den Angriff auf der Raststätte in Siegburg oder auch auf Polizeibeamte im Bereich der Vorwiesen ist mit natürlich bekannt.

 

Sie haben bereits über den Austausch mit den Fanprojekten, sowie die Gruppierung der Wilden Horde angesprochen. Wie beurteilen sie insgesamt das Kölner Verhältnis zwischen Polizeikräften und Fans?

Ich halte dies zumindest für sehr wichtig und erforderlich, dass alle Beteiligten den Austausch miteinander suchen. Nach meiner Einschätzung kann es dabei auch Probleme in der Kommunikation geben. Dabei ist ein verlässlicher und vertrauensvoller Austausch entscheidend.

Für die Polizei ist es zwingend erforderlich, sich von Gruppen oder Personen zu distanzieren, die geneigt sind Straftaten zu begehen. Jetzt haben wir, so schätze ich, eine Verbesserung der Situation erreicht, da in den letzten Monaten keine Vorfälle geschehen sind, die hochproblematisch waren. Probleme, wie wir sie in den vergangenen Jahren hatten, sind seltener geworden. Dies ist natürlich begrüßenswert für mich und dabei werden stets Ansätze gesucht, nochmal stärker ins Gespräch zu kommen.

 

Auf Fanseite des FCs gibt es derzeit weniger Probleme. Liegt dies eventuell daran, dass sich der FC in „ruhigem Fahrwasser“ bewegt. Gibt es vielleicht sogar Statistiken, dass Fans „erfolgreicherer“ Vereine weniger Probleme verursachen?

Ich glaube, dass man das in dieser Form nicht so einfach sagen kann. Das ist nach meiner Einschätzung nicht belegt, zumal ich dabei auch Zweifel habe, dass diejenigen, die gewalttätig auftreten auch echte Fans sind und ihr Verhalten vom Erfolg abhängig machen.
Echte Fans unterstützen Ihren Verein. Ich denke da beispielsweise an Choreographien. Dahinter steckt ein außerordentliches Engagement. Wenn ich sehe, wie die Fansänger organisiert sind, hat das für mich sehr viel mit Engagement zutun, weil die Personen sehr wenig vom Spielverlauf mitbekommen, sowie auch viele andere Personen im Umfeld der Gruppierungen. Wenn hierdurch für eine gute Stimmung im Stadion gesorgt wird, dann ist dies etwas, was ich sehr wert schätze. Gerade die Wechselgesänge zwischen der Süd- und Nordtribüne sind etwas, was meines Erachtens die Stimmung im Stadion ausmacht und das finde ich toll.

 

Können Sie nachvollziehen, dass manche Gruppierungen sich ungerne mit der Polizei austauschen?

Die Frage ist doch, welche Ziele Fangruppen verfolgen. Faktisch gibt es bei manchen Gruppierungen eine Ablehnung gegenüber der Polizei, wobei ich persönlich dies inhaltlich eher nicht nachvollziehen kann. Wenn es nach der Polizei geht oder ich dies vertreten könnte, würde ich keine Polizeikräfte bei einem Fußballspiel einsetzen. Letztendlich kommt es nur zu diesen großen Polizeieinsätzen, wenn es absehbar ist, dass zu „Drittort-Begegnungen“ kommt. Die Stadien an sich benötigen keine Polizeikräfte. Die Polizei ist außerdem kein Verhinderer von Choreographien oder Fanunterstützung im Allgemeinen.
Wir haben Spiele, wo wir eine geringe Anzahl von Polizeikräften einsetzen. Bei einem Stadion sprechen wir von 45.000 Menschen, wobei immer etwas passieren kann. Der Ordnerdienst des FC, sowie die Kölner Sportstätten nehmen die Aufgaben dabei wahr und verbessern die Sicherheit stetig. Ich sehe insofern die Polizei als eine Institution, die es unterstützend ermöglicht, dass Fußball stattfindet. Wenn alle darauf aus wären, dass Spiel zu genießen und als Fans aufzutreten, dann wäre annähernd kein Polizeieinsatz und auch kein Austausch darüber erforderlich.

 

Abgesehen davon, dass es mehr Polizeikräfte bei einem Hochrisikospiel gibt, gibt es auch andere Konzepte bei diesen Spielen?

Es finden natürlich sehr detaillierte Analysen vor den Spielen statt, sowie der Gefährdungslagen. Immer dann, wenn wir Erkenntnisse haben, dass Fußball als Plattform genutzt wird, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen. In enger Kooperation der beteiligten Behörden wird evaluiert, mit welchem Gefahrenpotential man rechnen muss. Personen, die als Gewalttäter aufgetreten sind und auftreten werden, müssen damit rechnen, dass sie im Vorhinein von der Polizei Besuch bekommen. Dabei sprechen wir von Gefährderansprachen, die dazu führen, dass manche Personen so genannte Bereichsbetretungsverbote bekommen können. Wenn alles nicht reicht, wird dies hin zu einer gefahrenabwehrenden Ingewahrsamnahme ausgeweitet.
Wenn nichts zu erwarten ist, sehen natürlich die Maßnahmen der Polizei ganz anders aus.

 

Es gibt Maßnahmen, die vom DFB und Innenministern getroffen und gefordert werden, wie zum Beispiel die Reduzierung des 10%igen Gästekontingentes. Begrüßen Sie dies oder hilft dies bei ihrer Arbeit?

Ich sehe dies im Augenblick als eine Möglichkeit an, Gefahren zu reduzieren. Dies ist im Moment das einzige Ziel. Wenn es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass wir nicht mit Auseinandersetzungen rechnen müssen, wäre ich sicherlich einer der ersten, der sagen würde, dass wir mit einem Vertrauensvorschuss an die Sache rangehen und dabei das Gästekontingent wieder erhöhen.

Da kommt es natürlich darauf an, dass man vertrauensvoll miteinander spricht. Für die Polizei ist es dann natürlich auch wichtig, den Fanbeauftragten oder Vertraute der Fangrupperingen, die Möglichkeit zu geben, mit der Polizei  zu sprechen und, dass dies auch von der Gruppe unterstützt wird. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es auch intern dieses Vertrauensverhältnis nicht gibt, das heißt, dass diejenigen die versuchen mit der Polizei zu kooperieren, werden mehr oder weniger intern „angezählt“. Ich glaube, dass es hier großen Bedarf gibt, so dass man sich aufeinander verlassen kann.

Die Regeln, um nochmal deutlich zu werden, hat nicht die Polizei festgesetzt, sondern diese sind durch die Sicherheitsrichtlinien des DFB  festgelegt oder durch die Stadionordnung. Wenn diese Bedingungen eingehalten werden, besteht für die Polizei gar kein Anlass, noch zusätzlich einzuschreiten.

Zu diesen vom DFB festgelegten Restriktionen gehören Alkohol- und Stadionverbote. Beispielsweise werden die Stadionverbote individuell vergeben. Personen, die in Köln Stadionverbot haben, können beispielsweise bei Auswärtsspielen problemlos anreisen.

Hierbei besteht die Frage, ob diejenigen, die ein bundesweites Stadionverbot haben, ihre Grenzen austesten und auswärts erkannt werden oder nicht. Dafür gibt es den Austausch der Polizeibehörden untereinander.

 

Wie ist dieser Austausch geprägt? Ist dieser beispielsweise bei Spielen gegen Mönchengladbach intensiver als bei Spielen gegen Hoffenheim?

Ich glaube dadurch, dass wir ein insgesamt sehr gutes und bewährtes System der Polizei im Bereich der Zusammenarbeit mit Sport und Gewalt haben, ist die Zusammenarbeit überall gleich gut ausgeprägt, das heißt, es wird sich überall im vorhinein gleich gut ausgetauscht.

 

Zum Abschluss zwei Fragen. Sie sind Anfang der 80er Jahre auf Streife gefahren und haben erwähnt, dass sie in verschiedensten Positionen und Verantwortungen bezüglich dem Fußball zutun hatten. Haben sich aus ihrer Sicht die Fans verändert und hat sich in dieser Zeit die Rolle der Polizei verändert? Das Image des „Freund und Helfer“ ist heute ja nicht mehr so präsent wie früher.

Das ist eine sehr interessante Frage. Ich glaube, da müssen wir wirklich weit zurückgucken, wo sie das Thema Freund und Helfer ansprechen. Zu dem Zeitpunkt, wo man dies so gesagt hat, war auch das Verhalten von Fußballanhängern gelassener.

Diese wirklich gewalttätigen Auseinandersetzungen zu suchen ist ja eine Form, wie sie meiner Einschätzung nach erst Anfang der 80er Jahre begonnen hat. Stellvertretend hierfür stehen Katastrophen, wie zum Beispiel im Heysel-Stadion in Brüssel oder die Entwicklungen in England. Die Weltmeisterschaft 1990 war einer der Höhepunkte, was die Entwicklung von Gewalt angeht. Damals spielte das Thema der Hooligans eine ganz besondere Rolle, wobei die Bewegung der Ultras erst danach entstanden ist.

Ultras ist für mich kein böses Wort und auch keine Negativ-Bezeichnung, sondern ich verstehe sie als absolute Fans. Es hat sich aber auch deutlich gezeigt, dass einige Gruppierungen sich durch den Einsatz von Pyrotechnik oder durch gewalttätige Auseinandersetzungen anders entwickelt haben. Die Polizei muss dem entgegenwirken, jedoch können wir nicht alleine die Sicherheit gewährleisten. Wir müssen dabei Vereine und DFB stärker mit ins Boot holen. Deswegen zu dem, was ich schon einmal gesagt habe:

Es ist eigentlich nicht Sache der Polizei Fußballspiele zu begleiten, sondern es ist Sache des Veranstalters für Sicherheit zu sorgen. In dieser Hinsicht hat sich auch einiges getan. Wir hatten Anfang der 90er Jahre noch Bedingungen für den Einsatz von Ordnerdiensten, die ganz anders waren als heute. Danach sind andere inhaltliche und bauliche Standards entwickelt worden, auch im Hinblick auf die Katastrophen in anderen Stadien. Dadurch haben sich natürlich die Maßnahmen der Polizei insgesamt auch verändert und angepasst.

 

Zum Schluss: Wie ist ihre Geschichte mit dem FC und was war in diesem Zusammenhang ihr schönstes Erlebnis?

Ich wohne seit 1980 in Köln und hier war der FC schon prägend für mich. Ganz besonders aber als meine Frau und ich unsere Kinder in Köln-Sülz bekommen haben. Beide Söhne haben sich immer schon für den FC interessiert, vor allem auch durch mich. Wir sind danach mehrmals zusammen ins Stadion gegangen. Ich habe meinen beiden Söhnen zum Abitur und zum 18. Geburtstag eine Dauerkarte geschenkt. Natürlich habe ich mir auch eine gekauft, damit wir alle gemeinsam ins Stadion gehen können. In der ersten gemeinsamen Saison gab es wenig zu feiern. Und einer meiner Söhne hatte dann auch noch das Pech, ausgerechnet den einzigen Heimsieg der Saison zu verpassen. Aber so ist das manchmal und wir sind natürlich FC-Fans geblieben.

Das Besondere oder Schöne ist für mich weniger ein Erlebnis, als ein Gefühl.

Für mich stellt der FC eine ganz besondere Identität für die Region dar, da sie für den FC lebt.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

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